Den folgenden Text habe ich der Webseite „Flüchtlingskinder im Libanon e.V.“ entnommen, dort zu finden unter „Texte und Materialien“.

Das Recht auf Rückkehr als Voraussetzung für den Frieden

Die Palästina-Flüchtlinge fordern Gerechtigkeit

Solange Israel die Verantwortung als Verursacher der palästinensischen Flüchtlingssituation von sich weist und sich weigert, die Rechte der Flüchtlinge anzuerkennen, wird es im Nahen Osten keinen dauerhaften Frieden geben. Ob die Flüchtlinge und vor allem deren Nachkommen nach über 50 Jahren des Exils wirklich in ihre Häuser zurückkehren wollen, ist eine offene Frage. Die Massenimmigration der letzten Jahre in Israel zeigt nach Ansicht des Autors, dass Möglichkeiten zur Absorption von Neueinwanderern vorhanden sind.

Von Mouin Rabbani *

Man vergisst oft, dass der Staat Israel auf Grund einer Uno-Resolution errichtet worden ist, der Resolution 181 der Vollversammlung vom 29. November 1947, um genau zu sein. Mit einem ebenso beispiellosen, aber insgesamt noch weiseren Schritt machte die Resolution 273 vom 11. Mai 1949 Israels Aufnahme in die Weltorganisation von einer expliziten Verpflichtung abhängig, die Charta der Vereinten Nationen anzuerkennen und Uno-Resolutionen in Bezug auf den arabisch-israelischen Konflikt zu respektieren. Spezifisch erwähnt wird dabei die Resolution 194 vom 11. Dezember 1948. Sie spricht palästinensischen Flüchtlingen das Recht zu, in ihr Zuhause zurückzukehren, sowie das Recht auf Entschädigung für den Verlust von oder Schaden an Eigentum. Seit 1948 und bis heute ist diese Resolution durch die Weltorganisation alljährlich mit überwältigender Mehrheit neu bestätigt worden.

Verzicht nicht akzeptabel

In einer normalen Welt wäre zu erwarten, dass die Diskussion über die Resolution 194 auf eine Debatte über den Ausschluss Israels aus der Organisation wegen willentlicher und systematischer Verletzung der Bedingungen seiner Mitgliedschaft seit mehr als einem halben Jahrhundert hinauslaufen würde. Ebenso wären konkrete Massnahmen der internationalen Gemeinschaft zu erwarten, um sicherzustellen, dass Israel diese Bedingungen rasch erfüllt. Da die Welt jedoch ist, wie sie ist, steht die palästinensische Führung unter starkem internationalem Druck, von der Gültigkeit und Anwendbarkeit einer bindenden Resolution internationalen Rechts abzurücken, unter dem Vorwand, es sei für den Nahostfrieden dienlich, Millionen palästinensischer Flüchtlinge im ständigen Exil zu lassen. Welche juristischen Implikationen - wenn überhaupt - die Massenpreisgabe der Flüchtlinge durch die heutige palästinensische Führung oder den vorgeschlagenen Palästinenserstaat haben wird, ist unklar, denn das Recht auf Rückkehr und Entschädigung ist den Betroffenen in erster Instanz zugesprochen.

Kein Naturphänomen

Sicher ist dagegen, dass ein Verzicht auf Flüchtlingsrechte im arabisch-israelischen Aussöhnungsprozess etwa dasselbe auslösen würde, wie etwa die Zerstörung der Aksa-Moschee sich auf die Verständigung zwischen Muslimen und Juden auswirken würde. Die palästinensischen Flüchtlinge sind kein Naturphänomen. Vielmehr wurden sie, wie von prominentesten israelischen Gelehrten bestätigt, nach Plan geschaffen, in einem der erfolgreichsten - auf jeden Fall der am erfolgreichsten vermarkteten - modernen Fälle von ethnischer Säuberung. Das Projekt, in Palästina einen jüdischen Staat zu errichten - "Palästina so jüdisch zu machen, wie England englisch ist", wie der Zionistenführer Chaim Weizmann an der Konferenz von Versailles nach dem Ersten Weltkrieg erklärte -, wäre ohne die Entfernung der einheimischen palästinensischen Bevölkerung ja nicht denkbar gewesen.

Zerstörung von Dörfern

Es ist historisch belegt, dass rund 90 Prozent aller Palästinenser in dem Gebiet, aus dem der Staat Israel wurde, vertrieben oder während des arabisch-israelischen Krieges von 1948 durch Einschüchterung ins Exil gedrängt worden sind, gemäss einer vorbedachten Strategie der zionistischen Führung, die von ihren militärischen Kräften mit ausserordentlicher Grausamkeit umgesetzt wurde. Wie der verstorbene israelische Ministerpräsident Menachem Begin in seinen Memoiren stolz festhielt, verfolgte das Massaker an 254 Männern, Frauen und Kindern vom April 1948 in Deir Yasin den Zweck, in ganz Palästina Massenterror und Massenflucht auszulösen. In Haifa, Jaffa und anderen Küstenstädten wurden Palästinenser ins Meer geworfen, ihre Landsleute in Beersheba und anderswo in die Wüste vertrieben. Um die Willkür dieser Kampagne noch zu unterstreichen, erliess das erste israelische Parlament eilig eine Reihe von Gesetzen, um die Rückkehr der Flüchtlinge zu verhindern und ihren ganzen Besitz zu konfiszieren, während Hunderte - die grosse Mehrheit - der entvölkerten Dörfer dem Erdboden gleichgemacht wurden. Selbst wenn man die israelische Propaganda hinnimmt, die Verantwortung für die Flüchtlingsfrage liege bei den arabischen Staaten und/oder den Flüchtlingen selbst, tut dies der Gültigkeit der Uno-Resolution 194 oder anderer internationaler Gesetze keinen Abbruch, welche die Rechte von zivilen Flüchtlingen auf Repatriierung und Entschädigung als absolut und unveräusserlich definieren. In Jugoslawien, beispielsweise, verliessen viele Angehörige verschiedener Bevölkerungsgruppen ihr Zuhause, oft freiwillig oder in der Folge ungesetzlicher Militäroperationen ihrer eigenen Seite. Und doch behauptet niemand, diese Flüchtlinge hätten ihre Rechte verwirkt, weil sie aus Angst flohen oder dem freundschaftlichen Rat folgten, lieber vorübergehend umzusiedeln, als mit Gewalt vertrieben zu werden, oder sie seien wegen des kriminellen Verhaltens ihrer Führer auf Dauer zu enteignen - ganz im Gegenteil. Die Behauptung, Israel sei rein physisch ausserstande, mehrere Millionen palästinensische Flüchtlinge aufzunehmen, ist nicht stichhaltig. Israel hat vor gar nicht langer Zeit Platz für über eine Million Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion gefunden und würde nicht zögern, doppelt so viele Juden aus andern Ländern auch heute zu absorbieren.

Spiel mit dem Feuer

Die Frage der palästinensischen Flüchtlinge läuft letztlich auf die Aufrechterhaltung eines Rassensystems aus dem 19. Jahrhundert im Nahen Osten des 21. Jahrhunderts hinaus. Israel will die Palästinenser nicht, weil sie keine Juden sind. Es weigert sich, ihre Rechte anzuerkennen oder auch nur die historische Verantwortung für ihre Leiden einzugestehen, weil es darauf beharrt, ein Staat nur für Juden zu sein. Auf dieser Grundlage wird jeder Person überall auf der Welt, die einen jüdischen Grosselternteil hat, durch das israelische Gesetz die sofortige Staatsbürgerschaft garantiert, während jeder Palästinenser, der in Palästina geboren und später vertrieben worden ist, durch das gleiche Gesetz zum permanenten Exil verurteilt wird. Im äussersten Fall bietet dieses Gesetz Palästinensern ein Touristenvisum für ihr eigenes Land an. Es soll daran erinnert werden, dass der Kampf der Palästinenser schon vor der israelischen Besetzung des Westjordanlandes und des Gazastreifens begann und eigentlich von Flüchtlingen aus dem Krieg von 1948 auf Grund ihres Rechts auf Heimkehr in Gang gesetzt wurde. Diese Streitfrage mit einer formellen Erklärung, dass palästinensische Flüchtlinge keinerlei Rechte mehr haben, oder mit einer Art textlichem Rechtskniff, wie ihn der amerikanische Präsident Clinton und sein Nahostberater Dennis Ross in ihren letzten Amtstagen vorgeschlagen haben, lösen zu wollen, kommt einem Spiel mit dem Feuer gleich. Die Verweigerung der Rechte und Ansprüche palästinensischer Flüchtlinge hat bereits ein halbes Jahrhundert des Konflikts verursacht. Eine zusätzliche Ablehnung im Kontext eines Friedensabkommens wird Millionen von Flüchtlingen sogleich in entschiedene Friedensfeinde verwandeln und in eine gut voraussagbare Explosion münden.

Wahrheitskommission gefordert

Laut Statistik der Vereinten Nationen wird der durchschnittliche Flüchtling nach sieben Jahren repatriiert oder wieder angesiedelt. Im Falle der Palästinenser - von denen ungefähr 75 Prozent Flüchtlinge, zumeist obendrein staatenlos sind - verhält es sich mit dem Durchschnitt so, dass einer als Flüchtling geboren wird und als Flüchtling stirbt. Solange diese Situation anhält, wird es in Nahost keinen Frieden und für Israel bestimmt keine Sicherheit geben. Ob jeder palästinensische Flüchtling wirklich in sein ehemaliges Haus oder das seiner Vorfahren zurückkehren will, wenn ihm die Gelegenheit dazu geboten wird, ist eine offene Frage. Aber die Verweigerung dieses Rechts hat es für sie alle zu einem heiligen Recht gemacht. Trotzdem haben palästinensische Aktivisten und Gelehrte, die sich für die Rechte ihres Volkes einsetzen, pragmatische Vorschläge ausgearbeitet, die den Bedürfnissen nicht nur der Flüchtlinge, sondern auch Israels und der arabischen Gastländer und damit dem regionalen Frieden entgegenkommen würden. Doch ohne eine offene, unzweideutige Erklärung Israels, mit der es die Verantwortung für das Flüchtlingsproblem und die daraus resultierenden Leiden übernimmt, hat keiner dieser Vorschläge eine Erfolgschance. Es ist nur natürlich, dass diejenigen, deren Vertreibung anzuerkennen Israel sich weigert, sich ihrerseits weigern, Israel anzuerkennen. Weil die Flüchtlingsfrage den eigentlichen Kern des israelisch-palästinensischen Konflikts ausmacht und für dessen Lösung von zentraler Bedeutung ist, hat der palästinensische Intellektuelle Edward Said die Einsetzung einer Wahrheitskommission nach südafrikanischem Muster vorgeschlagen, um eine Versöhnung zu fördern. Wie bei der internationalen Untersuchungskommission, die von den Palästinensern am Anfang der gegenwärtigen Intifada vorgeschlagen worden ist, werden solche Gremien im Allgemeinen von Leuten abgelehnt, die etwas zu verbergen oder etwas zu verlieren haben oder beides. Die Angelegenheit der palästinensischen Flüchtlinge ist in mancherlei Hinsicht einzigartig. Einer dieser Aspekte ist, dass die Flüchtlinge ihre Ansprüche gegen einen Staat und ein Volk anmelden, die während des vergangenen halben Jahrhunderts und insbesondere in den letzten Jahren Streitfragen um Rückerstattung zu einer exakten Wissenschaft gemacht haben. In diesem Zusammenhangist es völlig richtig, dass Israel am gleichen Standard gemessen wird, den die Juden so beharrlich von anderen verlangen, und dass eine explizite israelische Anerkennung der Fakten als Basis für sinnvolle Verhandlungen dienen soll, die zu einer gerechten und dauerhaften Regelung führen.

7. März 2001

* Der Autor ist Sozialwissenschafter und lebt in der unter palästinensischer Autonomieverwaltung stehenden Stadt Ramallah in Cisjordanien. Sein Artikel erschien bereits in der in London herausgegebenen Fachzeitschrift "Middle East International".

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