Am Abend des 29.8.2006 sah ich eine Sendung von Arte über die Motivation von Selbstmordattentätern. Der erste Teil über das schreckliche Schicksal von Zacarias Moussaoui war interessant, aber was sagt ein Einzelfall zu dem Thema? Beim zweiten Teil wäre ich fast verrückt geworden, wäre nicht in der Diskussion über die Sendung am Ende Madame Pénélope Larzillière aufgetreten – wenigstens eine normale Person nach einer Stunde der Präsentation von verrückten Selbstmordforschern.

Ich dachte wirklich die ganze Zeit „ich bin im falschen Film“! Da forschen Leute jahrelang, welche Schraube im Gehirn der Selbstmordattentäter fehlt, was für Monster sie sind, dass sie sich selbst töten und dass sie unschuldige Menschen töten und zu Krüppeln machen. Muss man da nicht selbst schizophren sein, wenn man derart unsinnige Fragen stellt und wenn man einen Film darüber dreht und ausstrahlt, der die Öffentlichkeit im besten Fall nur anödet, im Regelfall aber irreführt. Wir leiden wohl im Westen schon weitgehend an Gehirnerweichung, denn sonst wäre eine solche Sendung nicht möglich.

Halbwegs sinnvoll war wenigstens am Ende die Diskussion über den Film, in der die Soziologin Pénélope Larzillière (Autorin von "Etre jeune a Palestine") den ganzen Quatsch hinwegfegte – in sehr dezenter Weise, so dass es sicher manche Zuschauer gar nicht recht merkten. Ich sage „halbwegs“, weil auch diese Diskussion Mängel hatte. Es wurde nicht mehr berücksichtigt, dass Moussaoui eindeutig schizophren ist (was aber mit der Problematik kaum etwas zu tun hat, nur mit seiner Behandlung durch die US-Justiz). Es wurde als Erklärung, dass eine Gruppe zu Attentätern wird, die enge Gruppenbindung genannt und ein entsprechendes psychologisches Experiment vorgeführt. Was für ein Blödsinn, es ist doch umgekehrt! Wie kann eine Gruppe simultane Attentate begehen, wenn sie nicht laufend engstens konspiriert, wobei natürlich Kontakte zu anderen Menschen abnehmen. Schließlich wurde der Eindruck erweckt, dass das Phänomen nichts mit dem Islam zu tun hat. Das ist einerseits richtig, die Selbstmordattentate sind politisch motiviert. Der Zusammenhang besteht aber doch und zwar darin, dass die Unterdrückten meist Moslems sind und ihre Gesellschaften noch an Gott und an ein Leben im Jenseits glauben – im Gegensatz zum Westen. Und ein Letztes: Die schrecklichen und täglichen Selbstmordattentate im Irak wurden mit keinem Wort erwähnt (wenn ich mich nicht irre). Und deren Motivation ist mir am wenigsten verständlich und hätte mich am meisten interessiert.

Was soll so ein Film, wenn es die Internetseite http://www.nahost-politik.de/terror/selbstmordattentate.htm von Pierre Conesa gibt? (Paris 2002, deutsch von Edgar Peinelt.) Die ist hundert Mal besser. Hier ein paar kleine Auszüge:

Die weltweiten Anschläge mögen religiös motiviert erscheinen, doch letztlich dienen sie politischen Zwecken. Nur ernsthafte politische Bemühungen um Ausgleich werden sie eindämmen können. Die Strategie der Terrorismusbekämpfung durch Gewalt und Kollektivbestrafung ist zum Scheitern verurteilt.

Seit Beginn der zweiten Intifada sind dreimal so viele Palästinenser wie Israelis getötet worden, und dennoch konnte Ariel Scharons Politik der harten Hand Israel nicht schützen: Auch die Zahl der israelischen Opfer liegt heute dreimal so hoch wie vor fünfundzwanzig Jahren. ... Es sind derartige Gewaltstrategien, die den Boden für Selbstmordattentate bereiten.

In der Regel fordert das brutale Vorgehen von Besatzungstruppen - ob indisch, russisch, srilankisch oder israelisch - weit mehr Opfer als alle Attentate. Es legitimiert zugleich den Terrorismus als die Waffe der Schwachen; und es dient als Rechtfertigung, die Zivilbevölkerung nicht mehr als unschuldige Opfer zu sehen: Sei es, weil Zivilisten selbst eine bewaffnete Gruppe bilden (wie die israelischen Siedler), sei es, weil sie (wie die russischen Einwohner Tschetscheniens) so tun, als wüssten sie nichts von den Massakern an der autochthonen Bevölkerung. Außerdem sorgen die Übergriffe der Besatzer für den nötigen Rückhalt der Terroristen in der Bevölkerung und sichern den Nachschub an Selbstmordkandidaten.

31.8.2006

Jetzt habe ich am 2.9. abends etwa um 18 Uhr in SWR-contra nur einen kurzen Ausschnitt aus einem Interview mit der Islamwissenschaftlerin Souad Mekhennet gehört. Sie hat in wenigen Sätzen erklärt, warum und wie und welche Leute zu Selbstmordattentätern werden. Das sollte man sich anhören oder vielleicht ihr Buch lesen (ich habe es nicht gelesen) und nicht so einen unsinnigen Film produzieren. Das volle Interview, das in SWR1 gesendet wurde, können Sie hören unter der folgenden Nummer 10. Wie junge Leute zu Selbstmordattentätern werden, beschreibt Frau Mekhennet am Ende des Interviews.

5.9.2006