Mein Brief vom
14.2.06
(ergänzt durch ein paar Verweise
[„Links“])
14.2.06
Sehr geehrter Herr Hartmann von der Tann,
am Montag den 13.2. habe ich Ihre Sendung "Unter den Linden" gesehen. Ich wollte Ihnen dazu schreiben, habe aber damals nicht gewusst, dass es so viel werden würde. <...> Ich schätze PHOENIX außerordentlich und Sie und alle anderen Moderatoren. Aber diese Sendung hat mich zu der nachfolgenden Kritik veranlasst.
Diese Diskussion war kein Beitrag zur Völkerverständigung! Natürlich sind Sie nicht verantwortlich für die Äußerungen Ihrer Gesprächspartner, auch nicht für den Kirchturmshorizont Ihres Publikums, aber sicher wohl doch für die Auswahl der Diskutanten.
Ich weiß nicht, ob ich noch bei Verstand bin, aber Herr Nazzal hat mir mit jedem Satz aus dem Herzen gesprochen, während ich bei Herrn Seligmann in keinem einzigen Satz eine Logik erkennen konnte. Was hat die Pressefreiheit und Meinungsfreiheit überhaupt mit der wissentlichen Beleidigung anderer Menschen zu tun? Ich sehe da überhaupt keinen direkten Zusammenhang.
Was ist Pressefreiheit?
Pressefreiheit heißt für mich, dass man jederzeit unbequeme Wahrheiten publizieren darf, z.B. dass die Juden die Palästiner (meine Wortschöpfung) aus ihren Dörfern und ihrem Land vertrieben haben, dass im Grunde die Deutschen daran schuld sind, und dass die Amerikaner daran schuld sind, dass die Israelis über Jahrzehnte hinweg ständig weitere Siedlungen bauen dürfen, dass sie ganze Städte der Palästiner einmauern dürfen, dass sie die eigentlichen Landbesitzer jahrzehntelang wie Gefangene halten dürfen, dass sie jederzeit aus ihren Helikoptern heraus Menschen erschießen dürfen, dass die Palästiner ständig des Terrors bezichtigt und als Verbrecher dargestellt werden, wenn sie das einzige ihnen verbliebene Mittel nutzen, um sich - als die eigentlichen Besitzer des Landes - zur Wehr zu setzen.
Vor Jahren hat der damalige französische Außenminister de Villepain vorgeschlagen, jetzt endlich UNO-Truppen in Palästina zu stationieren, um das ständige Sterben und Zerfetzen von unschuldigen Menschen und Kindern zu beenden. Pressefreiheit ist, zu fragen, warum diese Meinung so schnell verschwunden und nie wieder erschienen ist und wer somit daran schuld ist, dass das Sterben weitergeht. Offenbar gibt es da Millionen von Scheren in westlichen Köpfen.
Pressefreiheit heißt, dass man jederzeit sagen darf, dass Putin ein Verbrecher ist, der in seiner Russischen Zwangsföderation Völkermord betreibt. Jeden Kontakt mit tschetschenischen Unterhändlern lehnt er ab, denn "das sind Ratten, die man vernichten muss".
Pressefreiheit heißt, dass man jederzeit sagen darf, dass Präsident Nixon ein großartiger Verbrecher war, der unter ständigen Lügen in Vietnam grausigen Massenmord betrieb, dass Präsident Bush ein großartiger Lügner ist, der täglich betet und dabei als Marionette der Rüstungsindustrie Kriege führt und Tausende unschuldige Menschen tötet und zu Krüppeln macht und der unter dem Vorwand, den Völkern Demokratie zu bringen, Kriege führt aus amerikanischem Nationalismus und Chauvinismus heraus und um aus der ganzen Welt das Öl abzusaugen und damit zudem noch global die Umwelt zu zerstören. Wer hat mehr Menschen umgebracht, Saddam oder Bush? Ich weiß es nicht.
Pressefreiheit heißt, dass man sagen und schreiben darf, dass die USA keine Demokratie haben sondern ein unsoziales, verkommenenes und verbrecherisches System, das Verbrecher zu Präsidenten macht, das Präsidenten anderer Länder ermordet, das sich ständig UNO-Resolutionen widersetzt, das die Atombombe in Israel protegiert, das mit seiner Palästina-Politik und seiner Unterstützung von autokratischen Regimen, wie z.B. des Schahs in Persien und der Saudis, die ganze Welt in Brand setzt.
Unter gewissen Präsidenten waren bzw. sind die USA das Reich des Bösen. Längst hätte Bush gegen Syrien und den Iran losgeschlagen, wenn er noch könnte. Aber so pflegt man wenigstens die Feindschaft sorgfältig, damit das Volk schon halbwegs auf den Krieg vorbereitet ist, wenn dann die Waffenarsenale der Rüstungsindustrie wieder überquellen. Wenn man den Menschen dieser Länder wirklich helfen wollte, könnte man ihnen gegenüber auch ganz andere Töne anschlagen.
Was wäre das Palästina-Problem ohne die ständige Heuchelei der USA und der Israelis? Wäre Al-Qaida je entstanden mit all den schrecklichen Ereignissen, wenn die Amerikaner dort bleiben würden, wo sie hingehören? Was hätte aus dem Iran werden können, wenn die Amerikaner damals auch daran gedacht hätten, dem Land Demokratie zu bringen? Und was ist daraus geworden? Mir ist nicht verständlich, weshalb wir immer noch die Freunde Amerikas sein wollen. Vor Osama bin Laden schützt mich das nicht. Natürlich haben die Amerikaner einst uns West-Deutsche befreit und uns vor dem Kommunismus bewahrt, aber seither hat sich vieles geändert! Wir leben in einem anderen Jahrhundert. Es ist Zeit, dass Europa sie aus ihrem verbrecherischen System befreit!
Ob ein Unterschied besteht zwischen Pressefreiheit und Meinungsfreiheit, weiß ich als politischer Laie nicht. Aber zur Meinungsfreiheit gehört m.E., dass man auch Unwahrheiten als Meinung vertreten darf. Da es verboten ist, den Holokaust zu leugnen, haben wir die ach so göttliche totale Meinungsfreiheit, um die es Herrn Seligmann geht, ja gar nicht. (Meines Erachtens war übrigens diese Einschränkung der Meinungsfreiheit kontraproduktiv; ohne sie hätten wir wahrscheinlich nur halb so viel Antisemitismus und entsprechende Verbrechen, weil der ganze Reiz für gewisse Jugendliche, wider den Stachel zu löcken, dann nicht gegeben wäre.)
Was ist Beleidigung und Verspottung?
Wollen wir ein gutes Auskommen mit anderen Kulturen oder wollen wir das nicht? Über Beleidigungen und Unverschämtheiten brauche ich nicht so viel zu sagen und nicht so viele Beispiele nennen wie zur Pressefreiheit, denn was das ist, weiß jeder Mensch, der sich noch einen Rest von gesundem Menschenverstand bewahrt hat, nur offenbar Herr Seligmann nicht. Man kann über seinen Nachbarn noch so schlecht denken, man wird trotzdem im Treppenhaus nicht zu ihm sagen: "Guten Morgen du blöder Hund, schade dass es immer noch so dumme Menschen gibt wie Dich!" Aber vielleicht macht das Herr Seligmann so, aus Sorge, sonst eine Schere in den Kopf zu bekommen. Er scheint geradezu ein Zwangsbeleidiger zu sein.
Ich habe lange überlegt, wie ein gebildeter Mensch und Publizist zu so einer Meinung und zu so unlogischen Schlüssen kommen kann. Denn ist es nicht absolut unlogisch, zu unterstellen, dass man die Pressefreiheit verliert und eine Schere in den Kopf bekommt, wenn man darauf verzichtet, über das zu lachen, was anderen heilig ist? So hat er mehrfach argumentiert. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Herr Seligmann in dieser Frage nicht klar sehen kann, weil er seit Jahrzehnten Partei ist in dem jüdisch-arabischen bzw. jüdisch-moslemischen Konflikt. Insofern sind ihm mildernde Umstände zuzubilligen. Er hasst die Moslems, zumindest steht er über ihnen, wie sich das ja auch in seinem ständigen überlegenen Grinsen und in seiner Art der Argumentation ausdrückt. Und daher glaube ich, dass es ein Fehler war, ihn als Juden Herrn Nazzal gegenüber zu stellen. Wahrscheinlich wollten Sie einen Vertreter pro Karikaturen. Aber da hätten Sie besser einen Chefredakteur einer anderen deutschen Zeitung wählen sollen.
Natürlich gibt es auch ganz andere Juden. Hätten Sie z.B. Frau Yulie Cohen Gerstel eingeladen, wäre der Abend anders verlaufen (sie spricht allerdings wahrscheinlich nicht deutsch). Das Publikum wäre nicht in seinen naiven anti-moslemischen Reflexen bestärkt worden. Dem Publikum, das zu Herrn Seligmanns Äußerungen kräftig Beifall klatschte, kann ich das allerdings nicht so sehr übelnehmen, denn das waren wohl deutsche Hausfrauen und deutsche Biertrinker, die in keiner anderen Kultur gelebt haben und deren Meinung geprägt ist von den deutschen Medien und deren geistig-kultureller Horizont reicht halt im Allgemeinen auch kaum über den Tellerrand hinaus.
Unsere westliche Hybris und Ignoranz
Wir sind im Westen alle gefangen in einer geistigen Haltung, die Herr Seligmann wunderbar verkörperte. Daher kann man Ihre Sendung geradezu als Lehrbeispiel für die falsche Haltung des Westens ansehen. Das süffisante Lächeln (oder Grinsen), das Herr Seligmann von der ersten bis zur letzten Sekunde verstrahlte, war für mich kaum zu ertragen. Entweder er kann gar nicht anders (ich habe ihn schon mal mit dieser Attitüde im Fernsehen gesehen) oder er ist derart beglückt, dass er im Fernsehen erscheint, oder aber, und das ist wohl das Wahrscheinlichste, er denkt und fühlt eben so, wie wir Westler im Allgemeinen fühlen:
Wir sind die modernen, fortgeschrittenen Menschen, wir Europäer und Amerikaner sind den anderen weit überlegen, wir sind aufgeklärt, können frei und rational denken, wir beachten die Menschenrechte (siehe Guantanamo!), jeder kann bei uns sagen und denken, was er will. Das ist so klar und logisch, dass jeder andere Standpunkt nur als rückständig belächelt werden kann. Jeder kann beleidigen, wen er will, das ist so und das bleibt so und wer das nicht kapiert, der ist halt nicht auf der Höhe der Zeit und kann nur belächelt werden.
Und wir Deutschen sind ja ganz besonders tüchtig. Selbstverständlich müssen wir in Europa bald wieder zur Spitze gehören. Wie könnte es anders sein? Ist doch undenkbar, dass uns einmal die Franzosen oder die Engländer oder gar die Italiener - von den Polen oder Slowenen oder Ungarn gar nicht zu sPchen - überrunden sollten. Wir müssen wieder zur Spitze gehören, doch nicht etwa die Griechen oder die Belgier oder Tschechen. Und Europa muss die erfolgreichste Volkswirtschaft der Welt werden. Muss einfach! (Da wird es meines Erachtens in Europa noch dumme Gesichter geben in den kommenden Jahren.) - Und da wollen uns diese dummen und rückstandigen Araber und Islamisten und Fundamentalisten und Terroristen am Zeug flicken? Einfach lächerlich!
Und so beharrt der Herr Rasmussen stolz auf der Freiheit der Presse und entschuldigt sich nicht. Er hätte sich ja auch gar nicht entschuldigen müssen, aber er hätte doch sagen können, dass es ihm Leid tue, dass die Gefühle der Moslems verletzt wurden. Das wäre doch ganz einfach und ganz normal gewesen. Aber er hat Rücksicht genommen auf die naiven und dummen Wähler und hat so einen unermesslichen Schaden angerichtet. Ursache ist unsere westliche Hybris und die fehlende Moral und Führungsstärke vieler unserer Staatsmänner und Medienleute.
So ist unser westliches Denken. Auch wir Deutschen denken so, obwohl wir noch weitere hundert Jahre über das nachdenken sollten, was wir angerichtet haben, obwohl wir nach dem zweiten Weltkrieg in den Wäldern die Bucheckern gesammelt haben, obwohl noch vor wenigen Jahren Millionen von uns Gefangene des sowjetischen Terrors waren. Wir sind heute wieder die Herren der Welt. Diesen Eindruck vermittelte mir Herr Seligmann. Und das ist es gerade, was die Moslems auf der ganzen Welt so gegen uns aufbringt, dass wir mit den Amerikanern gemeinsame Sache machen, die sich überall in der Welt einkrallen und sie nach Strich und Faden ausbeuten. Man denke nur an John Perkins: "Mit Krediten Länder zu ruinieren war meine Aufgabe." Ein Interview mit John Perkins, ein Buch von John Perkins.
Eigentlich sollte man aus der Geschichte lernen, dass man die Verbündeten rechtzeitig wechseln sollte, um nicht mit ihnen unterzugehen. Aber meines Erachtens sollten Kategorien wie "Freunde" und "Verbündete" in der Politik heute keine Rolle mehr spielen sondern nüchterne Abwägung und Moral. Wenn man in der Politik jemandes Freund ist, ist man gleich auch mit verantwortlich für dessen Fehler.
16.2.06
(Ich kämpfe zur Zeit mit einer Krankheit und kann erst heute weiterschreiben.) Ich habe eingangs gesagt, dass ich mich manchmal frage, ob bei mir vielleicht schon ein paar Schrauben durcheinander gekommen sind, wenn ich so häufig anders empfinde als scheinbar alle anderen Deutschen. Da hat mich aber eine Pressestimme aus Italien doch sehr beruhigt, die ich im DLF gehört habe (ich glaube es war gestern). Da ist eine Zeitung genau derselben Meinung wie ich, nämlich, dass Pressefreiheit und Beleidigung nichts miteinander zu tun haben.- Mir gehts wieder besser!
Am heutigen Abend habe ich von der "Berliner Phoenix Runde" nur ein paar Minuten am Ende gesehen (ich habe das Thema langsam satt). Aber auch dazu eine Anmerkung, um meinen Standpunkt weiter deutlich zu machen: Als Herr Scholl-Latour erwähnte, dass andere Kulturen eben anders sind und z.B. in Indien die Braut für den Sohn von den Eltern ausgesucht wird, sagte Frau Dietzen in ihren abschließenden Worten: "Na das haben wir ja Gott sei Dank hinter uns ...". Schon diese Bemerkung halte ich an dieser exponierten Stelle für nicht gut. Sie geht ganz selbstverständlich davon aus, dass wir mit unserer Kultur über der Kultur der Inder stehen, dass wir weiter fortgeschritten sind und dass dabei auch unsere Kultur automatisch höher und besser geworden ist.
Fortgeschritten sind wir vielleicht. Aber selbst da bin ich mir nicht sicher, denn mir ist nicht bekannt, dass etwa in früheren Zeiten in Europa das generell so Sitte war wie in Indien. Aber selbst wenn es so war und wir also fortgeschritten sind, so ist doch nicht eindeutig klar, ob zum Besseren oder zum Schlechteren - für mich jedenfalls nicht. Wie sieht denn unsere Gesellschaft aus? Alleinerziehende Alleinerziehende Alleinerziehende, wo man hinschaut und hinhört Alleinerziehende!
Wie glücklich sind denn diese Alleinerziehenden? Viele wären vielleicht glücklicher, wenn ihnen die Eltern einen passenden Partner ausgesucht hätten. Aber viel schlimmer ist ja das Los der Kinder aus diesen Verhältnissen. Ich habe gerade eine Tochter mit sechs Jahren, die in die erste Klasse geht, und sehe den Unterschied zwischen meinem glücklichen, jeden Tag vor Freude springenden und singenden und übersprudelnden Kind und den Kindern, bei denen das ganz anders ist. Und in Zukunft werden wir Generationen haben, bei denen ein großer Anteil gar nicht mehr weiß, dass es so etwas wie eine glückliche Kindheit geben kann.
Aber selbst wenn das auch nicht richtig ist und unsere Kultur wirklich eindeutig die bessere ist, mit den glücklicheren Menschen, dann sollten wir das dennoch nicht als so selbstverständlich zum Ausdruck bringen, weil es die anderen beschämen oder beleidigen könnte. Man sagt doch auch nicht zum Nachbarn: "Sie mal, was ich für einen tollen Mercedes fahre, wann willst Du denn endlich mal ein vernünftiges Auto kaufen?" Vor allem sagt man das nicht in Gegenwart eines Publikums. - Ich will damit nicht Frau Dietzen kritisieren, die ich sehr schätze (seit ich mich an ihre Frisur gewöhnt habe), denn sie denkt nur so, wie wir im Westen allgemein so denken. Aber wir sollten ein bisschen weiter denken.
Wir sollten nicht davon ausgehen, dass sich alle Kulturen auf einen einzigen Idealzustand hin entwickeln müssen, schon gar nicht den unseren. Der ist ja auch noch sehr verbesserungsfähig (wenn ich z.B. nur daran denke, was mir in unserem mitteleuropäischen Rechtsstaat von unseren Gerichten für vielfaches Unrecht angetan wurde). Und vielleicht denken einst unsere Nachfahren ähnlich schlecht über uns wie wir über unsere Sklaven fangenden, deportierenden, ausbeutenden und misshandelnden Vorfahren. Wir sollten vielmehr davon ausgehen, dass es sehr verschiedene Kulturen auf diesem Globus gibt und dass diese zum Teil vielleicht so bleiben möchten wie sie sind. Ob sie es dann wirklich bleiben, ist eine andere Frage. Aber wir sollten die Möglichkeit nicht ausschließen und auch nicht verbauen, dass es auch in hundert Jahren noch Amazonas-Indianer gibt, die ihre mit Pfeil und Bogen herabgeschossenen Papageien rösten.
Vielleicht möchten auch einige uralte Hochkulturen gar nicht demokratisch werden. Im Kinderkanal (KIKA) hört meine Tochter jeden Sonntag das "Sonntagsmärchen" und da gibt es kaum ein Märchen, das nicht vom König, der Königin, der Prinzessin und dem Prinzen handelt. Kann die Zeit der Könige und Fürsten so miserabel gewesen sein, dass sie heute noch unterschwellig so eine große Rolle spielt? Die Zeit, in der sich Europa zu voller Blüte entfaltet hat. Nicht dass ich nicht für die Demokratie wäre, aber muss man sie anderen Ländern gewaltsam aufzwingen bzw. sie lächerlich machen, wenn sie ein anderes System haben? Man kann durchaus für die Demokratie plädieren, aber nicht in einer so süffisanten Weise wie Herr Seligmann.
22.2.06
Sehr geehrter Herr von der Tann, wenn sie Yulie Cohen Gerstel (Zu ihrem Film "Mein Terrorist",Interview zu ihrem Film "Mein Land Zion“) eingeladen hätten, hätten sie natürlich keine Spannung erreicht. Aber darin liegt eben die Krux der freien Presse, man will Spannung und Sensation und kann dabei u.U. großen Schaden anrichten.
Unzählige Plädoyers für die Pressefreiheit habe ich inzwischen gehört im Zusammenhang mit den Karikaturen (nachdem ich so lange krank war). Alles eine total verlogene Sache. Ich schäme mich für Deutschland! Pressefreiheit hat nichts zu tun mit der Verhöhnung dessen, was anderen heilig ist. Journalisten, die ja wohl gut ausgebildet sind in unserem ach so hoch entwickelten Land, sollten wissen, dass es im Islam eine Gotteslästerung ist, den Propheten bildlich darzustellen. Wenn sie sich darüber hinweg setzen, wollen sie bewusst provozieren und dabei der einfachen Masse gefallen oder Stimmen gewinnen vor Wahlen. So gewinnt man Wahlen und so setzt man die Welt in Brand.
Ein weiterer und tieferer Grund für die ständige Ausrede mit der Pressefreiheit scheint mir "das sogenannte Böse" zu sein, die Aggression also, die nach Konrad Lorenz zu unserem Verhaltensinventar gehört. Damit ist jeder von uns in geringerem oder stärkerem Ausmaß ausgestattet und bei den islamischen Massenprotesten äußert sie sich, wie sie sich eben dort äußert, und bei manchen hiesigen Journalisten äußert sie sich etwas raffinierter darin, dass man unfähig ist, zu sagen: "Es tut mir Leid, dass Euch das so getroffen hat." Bei dieser Form der Aggression kann man so tun, als ob das völlig korrekt und fortschrittlich sei, und dazu noch überheblich grinsen. In Wirklichkeit ist es eine Schweinerei.
Demokratie und Koexistenz in einer kleiner werdenden heterogenen Welt
Ich bin seit langem ein Befürworter von Volksabstimmungen. Unsere westliche Welt sähe meines Erachtens anders und besser aus, wenn wir generell Volksabstimmungen hätten wie in der Schweiz. Wenn wir nicht alle von den Konzernen manipuliert würden. Das einfache Volk kann sich ganz gut eine Meinung machen über die kompliziertesten Dinge, wie z.B. über die Vor- und Nachteile von Atomkraftwerken.
Nur in einem Punkt mache ich eine Ausnahme, bei der Verständigung zwischen den Kulturen. Dies hat mir auch die Reaktion des Publikums bei Ihrer Sendung gezeigt. Hierzu kann man erst etwas sagen, wenn man andere Kulturen erlebt hat. Da es aber unmöglich ist, dass die große Mehrzahl der Menschen andere Kulturen erlebt (ein Urlaub an der türkischen Mittelmeerküste hat mit einem Kennenlernen der Türkei und ihrer Völker nichts zu tun), braucht es Vermittler, Leute, die die jeweils andere Kultur wirklich kennen, Leute, die nicht mehr beeindruckt sind von den oft auf den ersten Blick erschreckenden Äußerlichkeiten, die erkennen, dass die anderen im Grunde ganz ähnliche Menschen sind und dass die Unterschiede meist ihren guten Grund haben in dem anderen Klima, in den anderen ökonomischen Strukturen, in der anderen Geschichte.
Nach so vielen falschen Hymnen über die Pressefreiheit in den letzten Wochen (damit meine ich nicht Ihre Sendung) muss ich es so sagen: Hierzulande reißt eben jeder die Fresse auf, auch wenn er nie ein halbes Jahr in Kurdistan oder sonst wo gelebt hat. Daher haben wir hier nicht nur eine Pressefreiheit sondern auch eine Fressefreiheit und die ist vom Übel.
Das war jetzt ein bisschen von meiner Aggression. Aber die will ich verlassen und ebenso all die Diskussionen und Argumentationen. Und ich fühle mich wie beim Eintreten in eine warme Stube, wenn ich den zum Vorbild nehme, der sagte: "Liebet eure Feinde, tut Gutes denen, die euch hassen. Segnet, die euch fluchen ..." oder an den denke, der sagte: "Deus caritas est." Es geht auch ohne Aggression.
Noch ein Wort zu der Phoenix-Sendung "Jesus' junge Garde" am 14.2. um 20.15 Uhr. Solche irrationalen Erscheinungen gibt es auch in unserer so aufgeklärten Kultur! Da waren einige Bilder doch sehr ähnlich mit den fanatischen Demonstrationen in den islamischen Ländern. Stehen wir mit unserer Rationalität wirklich über anderen?
Mit freundlichen Grüßen
Hans Haußmann
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